Beim ersten großen Bildungsgespräch in der Region diskutierten Vertreter:innen von Bildungseinrichtungen, Schulsprecher:innen, Eltern, Politiker:innen, Unternehmer:innen und Pensionist:innen gemeinsam über mögliche Ansatzpunkte zur Verbesserung unseres Bildungssystems und was hierzu auch die Region beitragen könnte. Dabei fanden Themen wie frühkindliche Förderung, Bildungsnetzwerke, außerschulisches Lernen, Herausforderungen durch Veränderungen in der Lehre und im Lernen, neue Lehrpläne, Lehrermangel, Faktoren des Wohlbefindens von Schüler:innen, Mobilität und Migration Berücksichtigung.
"Bildungsregion Steyr: Quo Vadis", also "wohin gehst Du" war die Klammer über alle Beiträge des Abends, dazu erläuterte Netzwerkchefin Daniela Zeiner zu Beginn die Frage „Unde venis?“ - "woher kommst Du" und damit den Weg zum Bildungsgespräch, einem Höhepunkt des Zukunftsregion Steyr Bildungsjahres 2023.
Passend dazu betrachtete Christoph Helm, Leiter der School of Education an der JKU Linz, in seinem Impulsvortrag die Entwicklung des Bildungssystems. Anhand des Liedes „Tausend Jahre wie ein Tag“, welches 1979 geschrieben wurde, zeigte er auf, dass die Fragestellungen von damals auch heute noch gelten, wir es noch nicht geschafft haben, viele gesellschaftliche Probleme zu lösen und sich in den Schulen bisher wenig verändert hat. Helm skizziert ein interessantes Zukunftsbild: „Vielleicht haben wir in naher Zukunft neben Lehrkräften bereits KI–basierte Roboter als unterstützende Tutoren in den Klassenzimmern stehen.“ Als relevante Zukunftskompetenzen für Schüler:innen sieht er deshalb, mit Künstlicher Intelligenz umgehen zu können, Sicherheit in der Nutzung von Medien, Future Skills (unbekannte Probleme zu lösen) und Futures Literacy (vorausschauendes Vordenken über mögliche Zukünfte) zu erwerben.
Dass mit der Entwicklung der KI kein Stein auf dem anderen bleiben wird und sich das Bildungssystem in einem großen Wandel befindet, sieht auch Gastgeber:in Ute Wiesmayr, Direktorin der Handelsakademie und Handelsschule Steyr. Sie setzt auf die Kombination von soft skills und hard skills in der Lehre, um die Schüler*innen bestmöglich auf die Anforderungen der Zukunft vorzubereiten.
Bürgermeister Markus Vogl beschäftigt, was von unserem „alten, bisherigen“ Wissens uns bei der Lösung zukünftiger Herausforderungen noch hilft. Er wirft die spannende Frage auf: „Hat unser Wissen noch Bestand?“, „Wie können wir das, was wir gelernt haben, für die Zukunft verwenden und gebrauchen?“. Beim Dammbruch im Wehrgraben hat sich für Vogl eines auf jeden Fall wieder bestätigt. Wer über Kompetenz in seinem Bereich verfügt und in der Lage ist mit anderen an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten wird auch in Zukunft alle Herausforderungen meistern.
Von relevanten Einflussfaktoren auf das Wohlbefinden der Schüler:innen berichtet die ehemalige BG-Absolventin Natalia Wächter, Professorin für Erziehungswissenschaft an der Uni Graz: die Unsicherheit, den Abschluss zu schaffen, steht dabei ganz oben auf der Liste, gefolgt von Schulleistungen, Schulstress und Mobbing. Wächter veranschaulicht anhand von Studien auch, dass „Bildung ein Stück weit vererbbar ist“ und Akademikerkinder in Österreich weit größere Bildungschancen haben, da die Eltern mit höherem Bildungsabschluss mehr unterstützen können.
Außerschulische Projekte wie CoderDojo Steyr helfen, dieser Kluft ein Stück weit zu begegnen, denn „Intelligenz und vielseitiges Interesse ist in allen Schichten verteilt“, wie Maria Pernegger, Initiatorin des Projekts berichtet: „Für CoderDojo Steyr war es immer wichtig, alle Kinder reinzuholen, bei uns können alle lernen, ohne Leistungsdruck, ohne Vorkenntnisse, es wird geholfen, man darf probieren! Die Kinder lernen, im Team zu arbeiten, mit Rückschlägen umzugehen, sich was zu trauen, etwas Neues auszuprobieren!“
Leiterin der Bildungsregion Steyr – Kirchdorf Barbara Leitner-Haberler betonte, dass die Zusammenarbeit und Vernetzung von Bildungseinrichtungen sowie außerschulischen Akteuren von entscheidender Bedeutung ist, um das Potenzial von Schüler/Innen erkennen und ausschöpfen zu können. Dabei betonte sie die Notwendigkeit, von einer rein defizitorientierten Sichtweise abzurücken und stattdessen gemeinsam Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um der Bildungskluft effektiv entgegenzuwirken und frühzeitig in die frühkindliche Entwicklung zu investieren. Dies würde nicht nur dazu beitragen, Bildungsungleichheiten abzubauen, sondern auch die Grundlagen für lebenslanges Lernen und persönliche Entwicklung legen.
„In der Grundstufe bitte weg von elektronischen Medien, hier zählt unser Grundwissen, mit IT sollte erst nach der Grundschule gestartet werden“, sagt IT-Experts-Chef Wolfgang Bräu und ergänzt: „Es zählen Kreativität, Intuition, Leistungsbereitschaft, Bereitschaft zum ewigen Lernen und kritisches Hinterfragen, was man in den Medien sieht. Abkupfern wird KI besser machen, deshalb müssen wir Wert legen auf diese anderen Faktoren. Wir stehen an einer gesellschaftlichen Schwelle, erstmals werden höher kognitive Arbeitsbereiche automatisiert werden.“
Auch Direktorin der HTL, Sandra Losbichler betont die Bedeutung sozialer Faktoren: "Die Digitalisierung ist mittlerweile fester Bestandteil des schulischen Alltags an unserem Standort und ein absolutes 'Must-have'. Daher ist es umso wichtiger, den Fokus auf analoge Interaktion zu legen, um Treffpunkte zu schaffen und den Austausch zu fördern." In diesem Sinne arbeitet Losbichler gemeinsam mit einem Architekten daran, die HTL Steyr zu einem noch lebendigeren Lebensraum für Schülerinnen und Schüler zu gestalten, die oft bis zu 9 Stunden täglich vor Ort verbringen.
Eine der größten Herausforderungen für die HTL Steyr und ein Bereich mit erheblichem Optimierungspotenzial betrifft die Mobilität. Losbichler erläutert: "Etwa ein Viertel unserer Schülerinnen und Schüler wohnen in fußläufiger Entfernung zur Schule, alle anderen sind Pendler:innen. Die Bereitschaft, im Internat zu wohnen, hat in den letzten Jahren leider abgenommen, ebenso wie die Anzahl der Schülerinnen und Schüler aus dem Ennstal, die aufgrund der unzureichenden Verkehrsverbindungen nicht zur Schule kommen können.
Auch Harald Peham, Vorsitzender des Verkehrsausschusses der Stadt Steyr, sieht Verbesserungspotential, im Besonderen darin, "Schulwege zum Radfahren und zu Fuß gehen lückenlos sicher zu gestalten, um Kindern und Jugendlichen eine selbständige Mobilität zu ermöglichen".
Gesamt brachte der Abend viele spannende Ideen und Ansatzpunkte zur Zusammenarbeit in der Region. Auch die Qualität und die Vollständigkeit der Bildungseinrichtungen in Steyr wurde von vielen Besucher:innen hervorgehoben. „Wir haben gute Schulen“ sagt FH-Professor, Vater und Initiator des Junior Maker Pioneers Christian Stadlmann und Gerald Bachmayr, Direktor des BRG Steyr, ergänzt: “und viele motivierte Kolleg:innen, die fächerübergreifend lehren, neue Kompetenzen einbringen.“ Bachmayr berichtet von begeisterten Absolvent:innen, die studieren und nach Steyr zurückkehren, da sie hier „Bildung mit allen Sinnen und Wohlbefinden“ erlebt haben.
„Menschen für die Region zu begeistern, ist immer Ziel des Netzwerks“ sagt Leiterin Zeiner und zieht ein Resümee des Abends: „die Zukunftsregion Steyr wird die Ideen aufarbeiten, außerschulische Aktivitäten wie Junior Maker Pioneers und CoderDojo weiter unterstützen, an der Vernetzung der Bildungsteilnehmer:innen in Steyr arbeiten mit gemeinsamen, schulübergreifenden Aktivitäten wie Naturerlebnis, Changemaker-Projekt und Global Goals Design Jam 2024“. Vielleicht gelingt es, auch die Bildungslandschaft und das Angebot für alle sichtbarer zu machen, wie der Leiter der Zukunftsregion Steyr Bildungsgruppe, Roland Differenz, vorschlägt: „Wir müssen Minderheiten integrieren, zB durch eine gemeinsame Schulveranstaltung einmal im Jahr, mit dem Fokus, auch Personen mit Migrationshintergrund zu veranschaulichen, welche Schulen wir haben, zum Beispiel mit einem bunten Fest mit Food Trucks.“
Auch die Schulsprecherin der HAK Steyr, Theresa Spanring, sieht in der Integration aller eine starke Relevanz: "Ich finde, wir sollten den Fokus von Digitalisierung in Volksschulen abwenden und ihn auf die Integration der Migrant:innen legen. Wir haben bei uns in der Schule Schulklassen, wo mehr als die Hälfte kein gutes Deutsch kann, weil sie beispielsweise Flüchtlinge aus der Ukraine sind. Es wäre wichtiger, diese Menschen dabei zu unterstützen, gut Deutsch zu lernen, damit die Integration besser gelingt, als dass wir den 6–10-jährigen Tablets und Laptops zum Arbeiten geben. Die Volksschüler:innen sind jung genug und können sich das Arbeiten mit einem Laptop selber beibringen, weil wenn ich eines gelernt habe, dann, dass die Dinge, die ich mir selber beigebracht habe, die Sachen sind, die ich am besten kann."
Ebenso Herbert Jodlbauer, Professor der FH Steyr, sieht es als relevant, den Menschen das mitzugeben, was sie im Leben brauchen, um proaktiv die Zukunft zu gestalten. Er befürwortet open book Klausuren, denn „wir müssen nicht mehr lernen, was in jedem Computer nachlesbar ist“.
Wir laden sehr herzlich zu den nächsten Veranstaltungen im November: Jobmatch, die Bewerbungsinitiative, Gründer- und Ideengeber:innenfrühstück und HR-Talk.
Impressionen des Bildungsgesprächs, Fotos frei, © HAK Steyr Karner